Vorgänger protestierte gegen Prügel
Das  folgende Interview erschien ebenfalls am 4./5. November 1989 in der Mittelbayerischen Zeitung:
„Vorgänger protestierte gegen Prügel im Internat“
Werner Wollenweber, früherer Direktor des Domspatzengymnasiums: Dinge waren gerüchteweise bekannt
Regensburg. „Die“ Domspatzen bestehen aus drei Institutionen, die voneinander weitgehend unabhängig sind: Da ist einmal das Musikgymnasium, dann das Internat und der Chor selbst. An der Spitze des Gymnasiums stand von 1970 bis 1988 Werner Wollenweber, der seit 1965 bei den Domspatzen unterrichtete. 1988 wurde Wollenweber zum Vorsitzenden des Vereins der „Freunde des Regensburger Domchors“ gewählt. In einem Interview mit der MZ äußerte sich Wollenweber zu den Aussagen ehemaliger Domspatzen über die Erziehungsmethoden in den 60er Jahre.
MZ: Die Schilderungen über Prügel bei den Domspatzen beziehen sich im wesentlichen nicht auf das Gymnasium, sondern auf die Vorschule in Etterzhausen im Zeitraum bis 1969 und das Internat bis 1965. Sie haben die Protokolle der Interviews gelesen. Hat man am Gymnasium von diesen Dingen nichts gewusst?
Wollenweber: Wir haben natürlich davon gehört, aber mehr gerüchteweise. Wir wussten das schon, allerdings nie in den Details, wie sie in den Protokollen geschildert werden. Daß es so systematisch gemacht wurde, wie es hier beschrieben wurde, war nicht bekannt. Ich weiß von meinem Vorgänger, Direktor Höfler, dass er dagegen vorgegangen ist, soweit es in seiner Kompetenz lag. Er war ja für die Schule zuständig. Aber er hat dem Internat dringend nahegelegt, diese Methoden einzustellen.
MZ: Die Schule ging also dagegen vor?
Wollenweber: Das weiß ich von meinem Vorgänger. Bei mir war das nicht mehr notwendig. Seit 1975 ist ein neuer Internatsdirektor im Amt, der den Präfekten strikt verboten hat, zu prügeln oder Ohrfeigen zu geben.
MZ: Wußten Sie, dass die Zustände in Etterzhausen in der Vorschule am extremsten waren?
Wollenweber: Etterzhausen ist noch weiter weg als das Internat. Wir haben schon gelegentlich davon gehört. Aber mit der Institution sind wir eigentlich nur locker verbunden.
MZ: War die Behandlung für diese Zeit normal oder ging es bei den Domspatzen wesentlich strenger zu als anderswo?
Wollenweber: Wie es in anderen Internaten war, weiß ich nicht. Aber mir war es unangenehm, von diesen Dingen zu hören. Vor allem wenn man von den Eltern angesprochen wurde und es ja nicht verteidigen konnte.
MZ: Sie wurden also von den Eltern in der Zeit auf die Probleme angesprochen?
Wollenweber: Es ist sicher vorgekommen, dass sie davon berichtet haben. Wobei die Eltern von uns nicht verlangt haben, dass wir dagegen vorgehen. Es gab ja auch Eltern, die mit diesem Erziehungssystem einverstanden waren. Es ist zu meiner Zeit noch vorgekommen, dass die Eltern gesagt haben: hauen Sie ihm eine runter oder verprügeln Sie ihn. Sie haben meine volle Deckung. Aber in der Schule war das Schlagen, solange ich Lehrer war, verboten. Ich selbst habe diese Methoden immer abgelehnt.
MZ: Wobei es in der Schule aber teilweise anders gehandhabt wurde?
Wollenweber: In der Schule an und für sich nicht. Die Direktoren haben jeweils gesagt: Wenn Sie eine Ohrfeige geben und dafür belangt werden, erhalten Sie von mir keine Rückendeckung. In den Protokollen ist einmal die Rede davon, dass Schüler an den Haaren gezogen oder mit Kopfnüssen bestraft wurden. Ich kenne beide Lehrer. Der eine ist in Pension und der andere schon gestorben. Das sind aber Dinge, die von der Schulleitung nie gebilligt wurden.
MZ: Die Diskussion kam ja durch den Prozeß in München ins Rollen. Der Angeklagte redete sich darauf hinaus, dass ihn die Erziehung bei den Domspatzen auf die schiefe Bahn brachte.
Wollenweber: Ich halte diese Aussage in der Form, wie sie in der Zeitung stand, für übertrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man einem mit dem Rohrstock so über die Finger schlägt, dass es blutet. Das ist ja schon fast sadistisch. Die Aussage des Vaters ist ja bezeichnend, der meinte, das sei so nicht richtig.
MZ: Aber in den Gesprächsprotokollen mit ehemaligen Domspatzen ist auch von blutunterlaufenen Striemen die Rede.
Wollenweber: Nachdem das dasteht, wird es wohl stimmen. Die haben sich ja wohl auch nicht abgesprochen. Ich wollte noch eines sagen: das sind außerordentlich negative Aussagen. Es gibt natürlich auch andere. Am 11. November ist Generalversammlung des Vereins. Da treffen sich die Ehemaligen. Und die würden ja nicht zusammenkommen, wenn sie nur solche Erinnerungen austauschen würden.
MZ: Aber die kommen ja nicht wegen der ehemaligen Präfekten zusammen, sondern weil sie zusammen einen langen Abschnitt ihres Lebens verbracht haben.
Wollenweber: Sicher, aber die waren auch gern beim Chor dabei.
MZ: Wann haben die geschilderten Dinge Ihrer Erfahrung nach geendet?
Wollenweber: Im Internat in Regensburg sind diese Dinge ab 1965 abgebaut worden. Mit Sicherheit ist es seit 1975 im Internat nicht mehr üblich gewesen, sieht man von Affekthandlungen einzelner ab.
MZ: Wir danken für das Gespräch
Neben diesem Interview war noch ein kurzer Kastenartikel zu lesen, der Text war folgender:
„Massive Klagen über Etterzhausen gehört“
Seit 1975 ist Dr. Herbert Winterholler Direktor des Regensburger Domspatzeninternats. „Als ich damals kam, habe ich massive Klagen über die Erziehungsweise in Etterzhausen gehört“, berichtet Dr. Winterholler. Die Geschichte mit den Ruten sei ihm auch erzählt worden. „Das mit dem ,blutend’ habe ich damals freilich nicht geglaubt.“ Über die früheren Zustände im Regensburger Internat hätten die Schüler der oberen Klassen, die etwa 1969 in die 5. Klasse gekommen waren, kaum mehr geschimpft.